Nicht immer werden Kapitel der Ortsgeschichte objektiv, wenn überhaupt, überliefert. Was, wenn keine Artefakte und Dokumente über ein Zeitereignis objektive Aussagen zulassen? Was, wenn der Historiker nur mündliche, subjektive Überlieferungen vorfindet, Zeitzeugen nicht mehr leben?
Schuld beladen und zu Tätern geworden, lieferten Protagonisten der Nachwelt ein verzerrtes Bild. Opfer, eingeschüchtert oder stigmatisiert, verschwinden in Raum und Zeit, werden so dem Vergessen anheimgegeben. So wären auch 154 Menschen aus Böhlen, die im März 1852 nach Brasilien ausgesiedelt wurden, im Dunkel der Dorfgeschichte verschwunden. Wären da nicht Dieter Lange (Vielfensterhaus e. V.) und Hans-Günter Schneider (Blauer Anker Böhlen e. V.) gewesen, die Fragen stellten. Akribisch und stringent werden Ende der 1990-er Jahre im Staatsarchiv Rudolstadt, im Staatsarchiv Weimar, im Staatsarchiv der Hansestadt Hamburg und im evangelischen Kirchenarchiv in Böhlen regional und überregional Recherchen durchgeführt. Beide werden zu außergewöhnlichen Heimatforschern. Sie rühren an der Geschichte und schnell liegen Hinweise vor, dass die 154 Menschen zwangsumgesiedelt wurden. Eine Tragödie. Keiner ahnt zu dieser Zeit, welche Dimensionen diese Spurensuche annehmen wird, die im Frühjahr 2002 mit der Reise auf einem Containerschiff nach Brasilien ihren Anfang findet und im Herbst 2019 mit einem Dokumentarfilm einen erstaunlichen Höhepunkt erreichen wird. Akademiker von der Universidade Federal de Santa Catarina/Brasilien, die Geschäftsführerin des dort bekanntesten ansässigen Handelshauses Instituto Carl Hoepcke und der bekannte brasilianische Musiker Chico Buarque aus Rio de Janeiro werden zu Weggefährten und Begleitern, zu Freunden und zu Förderern. Die „Brasilien Sache“ von Schneider und Lange dringt bis in die Staatskanzlei des Freistaates Thüringen vor.