Unsere Themen

Ortsgeschichte

Die Ortsgeschichte ist ein wesentlicher Anteil unserer Arbeit. Als Expertise bringt der Verein zielgerichtete, kompetente Recherchen, Analysen und Archivierung historischen Schriftgutes ein und wird so zu einem Ansprechpartner für Fragen auf diesem Gebiet.
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Hier arbeiten wir mit an einem Format, das für die Identität des Ortes außerordentlich wichtig ist. Dazu erfolgen Einzelgespräche mit Einwohner*Innen über ihre Lebenserfahrungen und Erinnerungen. Um Totalverluste an Informationen zu verhindern, bieten wir eine Sichtung historischen Schriftgutes an. Einen großen Raum nehmen auch Recherchen in den regionalen Archiven ein.

In Erzählcafés haben wir ein Format geschaffen, das für die Ortsgeschichte und den Erhalt des Dorfdialektes eine sehr wichtige Plattform schafft. Dazu gehört nicht nur die Aufarbeitung der Auswanderer Episode von 1852, sondern auch kleinere Themenausstellungen und die Handreichung von Monographien zu verschiedenen historischen Episoden aus der Ortsgeschichte.

Mit Prof. Joăo Klug von der Universidade Federal de Santa Catarina/Florianopolis Brasilien, hatten wir nicht nur eine international gefragte akademische Persönlichkeit im Vielfensterhaus zu Gast, sondern es gelang uns auch in Verbindung mit dem Blauen Anker e.V., ihn zu einem Vortrag in der Stadtbibliothek Rudolstadt über die Probleme der indigenen Bevölkerung Brasiliens in der modernen brasilianischen Gesellschaft zu gewinnen.

Inhalt

Die Brasilien-Sache

Die außergewöhnliche Spurensuche zu einer Dorftragödie

Nicht immer werden Kapitel der Ortsgeschichte objektiv, wenn überhaupt, überliefert. Was, wenn keine Artefakte und Dokumente über ein Zeitereignis objektive Aussagen zulassen? Was, wenn der Historiker nur mündliche, subjektive Überlieferungen vorfindet, Zeitzeugen nicht mehr leben?

Schuld beladen und zu Tätern geworden, lieferten Protagonisten der Nachwelt ein verzerrtes Bild. Opfer, eingeschüchtert oder stigmatisiert, verschwinden in Raum und Zeit, werden so dem Vergessen anheim gegeben. So wären auch 154 Menschen aus Böhlen, die im März 1852 nach Brasilien ausgesiedelt wurden, im Dunkel der Dorfgeschichte verschwunden. Wären da nicht Dieter Lange (Vielfensterhaus e. V.) und Hans-Günter Schneider (Blauer Anker Böhlen e. V.) gewesen, die Fragen stellten. Akribisch und stringent werden Ende der 1990-er Jahre im Staatsarchiv Rudolstadt, im Staatsarchiv Weimar, im Staatsarchiv der Hansestadt Hamburg und im evangelischen Kirchenarchiv in Böhlen regional und überregional Recherchen durchgeführt. Beide werden zu außergewöhnlichen Heimatforschern. Sie rühren an der Geschichte und schnell liegen Hinweise vor, dass die 154 Menschen  zwangsumgesiedelt wurden. Eine Tragödie. Keiner ahnt zu dieser Zeit, welche Dimensionen diese Spurensuche annehmen wird, die im Frühjahr 2002 mit der Reise auf einem Containerschiff nach Brasilien ihren Anfang findet und im Herbst 2019 mit einem Dokumentarfilm einen erstaunlichen Höhepunkt erreichen wird. Akademiker von der Universidade Federal de Santa Catarina/Brasilien, die Geschäftsführerin des dort bekanntesten ansässigen Handelshauses Instituto Carl Hoepcke und der bekannte brasilianische Musiker Chico Buarque aus Rio de Janeiro werden zu Weggefährten und Begleitern, zu Freunden und zu Förderern. Die „Brasilien Sache“ von Schneider und Lange dringt bis in die Staatskanzlei des Freistaates Thüringen vor.

Zum historischen Geschehen von 1852 selbst:

Die sich differenzierenden gesellschaftlichen Umbrüche Mitte des 19. Jahrhunderts verändern ökonomisch und sozial die bisherige Dorfstruktur in Böhlen. Bestimmt wird diese Entwicklung im Ort durch eine Verelendung und einen Niedergang, vorwiegend des Weberhandwerks.  Die so sozial Geschwächten suchen nach Auswegen und Perspektiven, werden stigmatisiert, kriminalisiert, diffamiert und geraten so an den Rand der Dorfgesellschaft. Die Lage eskaliert im Sommer 1851 in offenen Massenprotesten im Ort. Die „Organisatoren“, durchweg Anhänger einer „Freien Gemeinde“, werden zu Sprechern und fordern Perspektiven für die verarmten Weber. Der regierende Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt: „In Böhlen ist Revolution!“. Ein fünfzig köpfiges Militärkommando wird in den Ort gesandt, um die „Rädelsführer“ zu arretieren. Alternativlos und brüskiert erscheint dieser Prozess der Dorf Exekutive und den Eliten. Sie reagieren: „… die Leute abschieben“, nach Brasilien.  Eine Tragödie zeichnet sich ab, die bis heute noch in der Region als „Böhlener Blutschande“ bekannt ist. Menschen werden als Sklaven Ersatz auf brasilianische Kaffeeplantagen „verkauft“. Eingekleidet durch geliehenes und staatlich subventioniertes Geld und mit dem Notwendigsten für eine damalige Seereise ausgestattet, werden 154 Personen (13,6% der Dorfbevölkerung!) auf eine schicksalhafte Reise geschickt. Das Los der Exilanten kümmerte keinen mehr.

Im Jahre 1960 ist es der damalige Ortspfarrer von Böhlen, der diese Ereignisse in der Thüringischen Kirchenzeitung zum ersten Mal benennt. Diese Veröffentlichung fand aber bis 1997 lokal kaum Beachtung.

Zum 555. Dorfjubiläum wurde in einem Umzug auch ein Bild der allgemeinen Auswanderung Mitte des 19. Jahrhunderts gezeigt. Dadurch bot sich den beiden Heimatforscher die Gelegenheit, um Fragen nach der Auswanderung 1852 nach Brasilien zu stellen. Eine ungewöhnliche Spurensuche findet ihren Anfang. Jahrelange Recherchen führten zu der ersten Reise 2002 nach Südbrasilien. Während dieses ersten Aufenthaltes trafen Schneider und Lange auf eine Gruppe von Nachkommen der Ausgewiesenen von 1852.

Eine linguistische Sensation bahnt sich an:

Die thüringische Identität dieser Personen lebt im Gebrauch des Dorf Dialektes von Böhlen in der 6. Generation fort. Ohne jemals vom Ursprungsort ihrer Vorfahren gehört zu haben, sind sie im Hinterland der Hauptstadt des Bundesstaates Santa Catarina als Kaffeepflücker bekannt. Mit Herzlichkeit und einer, den Spurensuchern aus ihrem Heimatort Böhlen bekannten humorvollen Art, knüpfen sie erste Kontakte. Einer Einladung zur Hochzeit eines Nachkommen der Kaffeepflücker 2015 folgend, wird während dieser Feier für Schneider und Lange der Schleier zur Vergangenheit vollends gelüftet. Es gelingt beiden, direkten Zugang zu den Kaffeepflückern zu bekommen. Bewegende und emotionale Gespräche in der Mundart von Böhlen folgen. Zum bisherigen Höhepunkt gelangt die Spurensuche jedoch im Herbst 2019, als mit Schneider und Lange der Berliner Filmemacher Gerald Backhaus mit dem Kameramann Sven Klöpper und der Erfurter Kunstfotografin Henriette Kriese der Besuch dokumentiert wird. „Ihr habt uns unsere Identität zurückgebracht, jetzt wissen wir, woher wir kommen und wie unsere Vorfahren entwurzelt wurden!“ Damit haben Schneider und Lange eine neue Qualität in der öffentlichen Auseinandersetzung mit Regionalgeschichte erreicht. In der weiteren Arbeit in Verbindung mit dem Verein Blauer Anker e.V. sehen wir ein Format, welches wir als kleinen Beitrag zum Kulturaustausch zwischen Deutschland und Brasilien sehen und weiterführen möchten. In diesem Sinne verstehen wir auch das große Presseecho in der Region auf brasilianischer und auf deutscher Seite.

Der Trailer zum entstandenen Film

Der Filmemacher Gerald Backhaus https://www.gerald-backhaus.de/portfolio/brasilien/

Monografien & Manuskripte

Dieter Lange hat während seiner Berliner Berufszeit und darüber hinaus zahlreiche ortsgeschichtliche Themen aufgegriffen und bearbeitet. Als Manuskripte stehen sie dem interessierten Publikum hier im Vielfensterhaus gerne zur Verfügung.

2019
Nach Brasilien – Die Geschichte einer Zwangsaussiedlung im Thüringer Wald. Eine Dokumentation
2018
  • Journal der bisher recherchierten Autographen/Dokumente der Causa Höpcke Zuarbeiten für das Instituto Carl Hoepcke / Florianopolis, Brasilien
  • Stalin's Prophylaxe – Maßnahmen der sowjetischen Sicherheitsorgane im besetzten Deutschland
  • Du wirst dich nie im Wind mehr wiegen – Die Lindenallee vom alten Friedhof in Böhlen. Eine Betrachtung
2017
  • Schanz – Betrachtungen zum Vorkommen eines Familiennamens  
  • Das Seelenregister von Böhlen und Wildenspring
  • Feuer!  Der große Brand in Böhlen am 2. Oktober 1867 
  • BÖHLEN – MerkWürdigkeiten aus und um Böhlen.  Ein Chronik-Handbuch
2016
  • Die Dorfordnung von Böhlen aus dem Jahre 1623  
  • Dieses  gesetzwidrige  Gebaren – Die „Freie Gemeinde“ als soziale Protest- und freireligiöse Bewegung in Böhlen. Argumentation zur Massenauswanderung im März 1852
  • Verraten, verhaftet, verhungert, verscharrt – Maßnahmen der sowjetischen Sicherheitsorgane im besetzten Thüringen
  • Para bellum 2 – 90 Jahre Kriegerdenkmal in Böhlen
  • Das Konsularwesen des Norddeutschen Bundes in Brasilien.
    Zuarbeiten für das Instituto Carl Hoepcke / Florianópolis, SC- Brasilien
2015
  • Gut Wehr!  Betrachtungen zur Geschichte der Feuerwehr von Böhlen  
  • Großvater – Lebensstationen eines Thüringer Tischlermeisters. Einzeldarstellungen in einem Familien-Kompendium
  • Ich bin Berliner! Sergio Günther – Dokumentation einer Spurensuche
    Meinem Freund Francisco Buarque de Holanda / Brasilien
2014
  • Die Familie Pfannschmidt aus Mühlhausen/Thüringen
  • Die dankbare GemeindeDas Kriegerdenkmal in Böhlen.
    Der Umgang mit dem Totengedenken
  • Archiv Ilmkreis – Alt Kreisarchiv.  Auswahl von Signaturen aus der Zettelkartei im Kreisarchiv Arnstadt, Altkreis Ilmenau, die Gemeinde Böhlen betreffend
2013
  • Off‘ d’r Buude set’zt da’r Cäsar a’nn fle’ckt a‘ Hemm’chen  – Der Schneidermeister Cäsar Heinze 
  • Die dankbare Gemeinde  – 90 Jahre Kriegerdenkmal in Böhlen
  • Die Journale der Böhlener Hebamme Meta Stüber – Betrachtungen und statistische Auswertungen
  • Will’s Gott, so sehe ich euch wieder! – Ein Kriegsschicksal 1870/71
  • Russe greift an. Es geht zurück – Das Kriegstagebuch meines Vaters
  • Recherchen zu den in Kriegsgefangenschaft geratenen Angehörigen der Deutschen Wehrmacht aus Böhlen im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs 1939-1945
    Recherchen im Kreisarchiv Ilm-Kreis, Altkreis Ilmenau, Arnstadt 
2012
  • Para bellum – 90 Jahre Kriegerdenkmal in Böhlen
  • Nun lasst uns eine Toure thun! –Gesellenwanderschaft
  • Glaubt nicht, wir wären Sclaven – Briefe deutscher Kaffeepflücker aus Brasilien von 1852.  Eine kritische Betrachtung
2011
  • Das vergosßen Bluot diß jars 1525 – Böhlen in den Ereignissen im Bauernkrieg 1524/25
    Die Widerstandsfähigkeit des Volkes im Entstehungsprozess frühmoderner Staatlichkeit.  
  • Die Dorflinde von Böhlen – Eine Zeitwanderung
2009
  • In diesen betrübten JahrenAuffälliges aus Böhlener Kirchenbüchern

  • Bergbaugeschichte von Böhlen

2008

Recherchen im Evangelischen Zentralarchiv Berlin (EZA) zur Familie Iwan (Kirchspiel  Juditten/Königsberg-Ostpreußen)

Stand 04.03.2008

 

2007

Gerhard Lunau – Leben zwischen Ostpreußen und Lateinamerika  

Eine genealogische Dokumentation zum 70. Geburtstag

Recherchen im Geheimen Staatsarchiv PK zum Familiennamen LUNAU, Königsberg/Ostpreußen

2005

So gehen wir jetzt von dannen nach Brasilien fort  

Die Aussiedlung von Böhlen 1852 – Ein Projekt zur Spurensuche in Santa Catarina, Brasilien  Eine vierteilige Dokumentation